Die Türkei unter Erdogan – Zwischen Agonie und Caesarenwahn
Vortrag und Debatte mit Kamil Taylan (Hessischer Rundfunk)
Wann: Donnerstag, den 26. Februar 2015 um 19 Uhr
Wo: Humboldt Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, Raum 2097
Um Anmeldung wird gebeten: anmeldung(at)mideastfreedomforum(dot)org
Zur Audio-Dokumentation
Zur Video-Dokumentation
In seinen dreizehn Jahren als Staats- und Regierungschef hat Recep Tayyip Erdogan die türkische Republik tiefgreifend verändert. Die „neue Türkei“, die Erdogan mit seiner islamischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) erbaut, entfernt sich offenkundig vom westlich-säkularen, autoritären Staatsprojekt, das der Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk und seine Anhänger dem ehemaligen Kernland des Osmanischen Reichs verordnet hatten.
Inzwischen verdichten sich die Anzeichen, dass Erdogans AKP eine Agenda zur Wiederauferstehung jener islamischen türkischen Großmacht vertritt. In diese Richtung weisen nicht nur die Auflösung des Laizismus und die staatlich geförderte Islamisierung des Bildungswesens. Hinzu kommt ein autoritärer Regierungsstil, zu dem auch unverhohlen kriminelle Praktiken gehören, wie die Korruptionsaffäre 2012 und der – trotz eines ausdrücklichen richterlichen Verbots – kürzlich abgeschlossene Bau des megalomanischen Präsidentenpalasts in Ankara.
Erdogans Politik konnte bisher stets auf Mehrheiten bauen, wie die Wahlen bestätigen. Allerdings sehen sich die Kritiker der AKP-Regierung einer zusehends stärkeren Repression ausgesetzt, bei der der Justiz- und Polizeiapparat immer wieder der Einschüchterung dient. Die EU-freundlichen Liberalisierungstendenzen der ersten Regierungsjahre, allen voran die Entmachtung des kemalistischen Militärs, aber auch die Abschaffung des Todesstrafe und eine liberalere Kurdenpolitik, erscheinen mit Blick auf die aggressive Innen- und Außenpolitik der Gegenwart als ein vorübergehendes strategisches Manöver der Beschwichtigung. Die kaum verhohlene Ankündigung Erdogans, noch im Jahre 2023, also genau 100 Jahre nach der Gründung der laiztistischen türkischen Republik, an der Macht bleiben zu wollen, lässt erwarten, dass die Umwälzung der Türkei längst nicht am Ziel angelangt ist.
Kamil Taylan ist ein deutsch-türkischer Fernsehjournalist, Soziologe und Krimiautor. Er dreht Reportagen für das Fernsehen, insbesondere für den Hessischen Rundfunk, die zur besten Sendezeit in der ARD gezeigt werden, darunter 2007 der preisgekrönte Film "Der Tag, an dem Theo van Gogh starb“ für die ARD. Er ist Mitverfasser des Jugendbuchs Oya (1988) über die „fremde Heimat Türkei“, das die Geschichte eines türkischen Rückkehrerkindes erzählt, welches in der Heimat seiner Eltern nicht heimisch werden kann. Oya wurde häufig als Unterrichtsmittel zum interkulturellen Lernen an deutschen Schulen eingesetzt. 2002 erhielt er den deutschen sowie den europäischen Civis-Medienpreis und den Prix Europa als Film des Jahres für "Das rote Quadrat: Die Feuerfalle von Rostock“. Ebenso beachtet war sein Dokumentarfilm "Der Tag als Jürgen W. Möllemann in den Tod sprang“.